Statements

Theater der Zeit, September 1998
 

Mein Theater

Professionell sein, heißt authentisch sein.
Louis Jouvet

Ich träume von einem Theater, das Mut macht.
Peter Zadek

Das Zentrum des Theaters ist der Schauspieler, so lautet der größte Allgemeinplatz in Theaterkreisen - fast jeder am Theater glaubt dies oder tut so - und die schönste Kühnheit zugleich: Denn wieviele Aufführungen pro Saison sehen wir, die von sich einprägenden Schauspielern bestimmt werden? Und: Wer ist heute ein Schauspieler? Jeder, der seinen Kopf ins Fernsehen hält. Jeder, der im Katalog einer Casting-Agentur bestaunt werden kann. Das Bild vom Schauspieler nähert sich dem Model-Bild an, die Frauen jung und hübsch, die Männer muskulös und tough. Selten zu entdecken: Persönlichkeiten, Schwierige, Menschen mit Kraft (nicht Muskeln!) und Phantasie. In einer Welt, die der Entwicklung von Persönlichkeiten nicht gerade dienlich ist, bei vielen Schauspielschulen, die nur abgelebte Klischees vermitteln, wird das Entdecken der raren Exemplare, die uns auf der Bühne bewegen können, zur vordringlichsten Aufgabe, und die Hinführung zu einer differenzierten Sprachbehandlung: Wegsprechen, Brechen, den Text auf Distanz halten können sie alle, die Jungen. Der Kampf gegen das Sprechtheater der 50er Jahre, seinen falschen Pomp und Ballast machte Sinn. Die Entdeckung der Körpersprache wurde zur zentralen Aufgabe. Wer aber einen Autor treffen will (die Eleganz Wildes; die Gedankenstriche des jungen empfindsamen Goethe) muß Sprache beherrschen als (eine) Möglichkeit, ins Zentrum der Rolle vorzudringen, der muß mehr als eine Facette oder gesammelte Splitter vorführen. (Nebenbei: Die Rückholung der Begabten, die sich in Funk und Fernsehen geflüchtet haben, ist ebenso wichtig für das Gegenwartstheater.)


I
Ich wünsche mir Schauspieler, die echt sind, die mir nicht nur von den Deformationen, sondern auch von den Sehnsüchten ihrer Figuren erzählen, deren Figuren widersprüchlich bleiben. Die Phantasie des Schauspielers zur Blüte zu bringen, ihn zu verführen, das seine Sprache und sein Körper sinnlich und erregend werden, ist die Aufgabe. Hierfür gibt es keine Methode, keine Ideologie, dafür sind Schauspieler, wie Menschen, zu unterschiedlich.


II
Das Bildertheater (groß, bunt, seltsam), lange die beherrschende Richtung und zum Bühnenbildtheater verkommen, ist am Ende. Weg mit dem Ballast, her mit der nackten Bühne, den einfachsten Mitteln.

Die Situationen ähneln sich: Waren für Coupeau vor 70 Jahren die Mittel des Naturalismus und des Ausstattungstheaters erschöpft, so langweilen heute die Nachzügler des Bildertheaters Marke Deutsches Stadttheater ebenso wie die Standards der durch die Welt tingelnden "Avantgarde": Fernseher, Videos, Monitore.
Verbrauchte Mittel, tote Bilder.

Begebt euch auf die erregende Suche nach dem reinen Bild, einer Reinheit, die durch unsere Erfahrung (Menschen, Orte, Bücher) gegangen ist und verhindert, daß wir auf falsche Weise heilig werden.

Einfachheit und Strenge können ein Vergnügen, poetisch, phantasie-anregend, ja sophisticated sein. Schließlich beschert ein perfekt gekochter Fisch auch einen größeren, realeren Genuß als ein Menu der Nouvelle cuisine. So suche ich Bühnen- und Kostümbildner, die nicht glänzen wollen oder müssen, sondern das Stück und die Schauspieler zum Glänzen bringen.

 

III
Vergeßt die Theaterklimperer, holt die besten Musiker.


IV
Ich arbeite für ein Theater, in dem der Text im Zentrum steht. Ein Theater, das sich in den Text vergräbt, ihn liebt. Hört endlich auf zu beweisen, wie schlecht ein Text ist oder für wie schlecht ihr ihn haltet. Vergeßt die Modewellen und Hitparaden.

Ich kann nur machen, was ich will, so einfach ist das. Was für eine Lust, einen Text zu finden, der eine so starke Identifikation auslöst, daß man das Gefühl hat, selbst der Autor zu sein!


V
Was gibt es Öderes als Theater für eine In-Group, die schnelle Verständigung zwischen Oben und Unten.
Ich träume von einem Theater, das kein Publikum ausschließt. Ich träume von einer Versammlung von Menschen, die neugierig sind, naiv und intellektuell, streng und sinnlich. Ich teile die Sehnsucht des Publikums nach gesteigertem Empfinden, Magie, Festlichkeit.


VI
Mein Wunschintendant verfügt über einen realen Bezug zum Theater, zur Bühne, zum Wesen des Schauspielers - obendrein sollte er ein Liebhaber des Theaters sein.

Solange der Theaterbetrieb vom Karriereautomatismus - unerheblicher Dramaturg wird unerheblicher Schauspieldirektor wird unerheblicher Intendant - geprägt wird, solange Parteizugehörigkeit und andere kunstfremde Kategorien bei der Intendantenwahl entscheidend sind, wird es Intendanten geben, die nicht wissen, ob sie einem Theater oder einer Wurstfabrik vorstehen. Vom Dilletant zum Intendant. Solange wird sich an der grundlegenden Situation der Theater nichts ändern, und alle Erfolge an diesen Häusern werden dem System schwer abgetrotzt sein.


VII
Ich will keine Sensation herstellen müssen.
Wer nach jeder Aufführung fragt: "Was ist daran neu?" hat nichts verstanden. "Neu" ist eine Couture-Kategorie, eine Frage an Kunst - und ja: Theater ist Kunst - lautet: "War es wahr?" Übrigens: Wahrheit und Genuß sind kein Widerspruch.

Der Novitätenwahnsinn führt zur Suche nach immer jüngeren Regisseuren: Kinder an die Regiefront! Der Betrieb, der den Inszenierungsausstoß erzwingt, produziert Enge, Stillstand, sich ewig wiederholende Regisseure. Entwicklung aber braucht vor allem Zeit.

Betrachtet den Theaterbetrieb vom Rand aus. Bleibt Außenseiter: Das schärft den Blick.

Regie führen heißt für mich: die Langeweile abstellen, endlos suchen, auf eine Reise gehen. Immer wieder der Kampf zwischen Menschendarstellung und Stil, Form und Assoziation. Und immer wieder träumen: von einem Theater, das sich nicht schämt, Theater zu sein. Von einem selbstbewußten Theater. Von einem theatralischen Theater.

Vor allem aber: Inszenieren ist ein zärtliches Gefühl.