Interview: Hans-Dieter Schütt
Hans-Dieter Schütt
Neues Deutschland, 30. August 2003
Armin Holz ist das Phantom des Schauspiels
Armin Holz ist das Phantom des Schauspiels: fünf Inszenierungen in fünfzehn Jahren. Heute in Berlin: die sechste
Heute 21 Uhr hat in einer alten Probebühne in der Cuvrystraße, Berlin-Kreuzberg, »Salome« von Oscar Wilde Premiere - u.a. mit Jeanette Hain, Hans-Michael Rehberg, Ingrid Andree, Dieter Laser. Renommierte Darsteller in einem Theaterprojekt auf Zeit, bis zum 24. September. Regie: ARMIN HOLZ, 1962 in Krefeld geboren. Er studierte Regie, inszenierte 1988 ein Stück, dann 1991 eines, 1992, 1996 und 2001, jeweils in München, Lüntenbeck bei Wuppertal, in Hannover und zweimal in Berlin. Das war's schon. Die Akademie für Darstellende Kunst verlieh ihm einen Preis; er blieb Geheimtipp jenseits aller Angestelltenverhältnisse im Stadttheater - ein sehr praktischer Träumer, der nur für sein Theater lebt und immer wieder stolz, tapfer, bei aller Mühsal unbeirrt heiter Sponsoren für seine solitären Unternehmungen sucht. Holz lebt und arbeitet wie Schilf - das so Schmale ist das so Zähe ...
AM RAND. WO SONST.
Botho Strauß
ND: Armin Holz, fünf Inszenierungen in 15 Jahren - was machen Sie dazwischen?
Holz: Das Leben zwischen meinen Inszenierungen möchte ich nicht veröffentlichen. Zu einem großen Teil ist es nichts weiter als Vorbereitung auf das einzige, was mir wertvoll erscheint: die nächste Arbeit.
ND: Wir leben in einer Welt, in der es oberstes Gesetz zu sein scheint, präsent zu sein, sich perfekt zu verkaufen. Sie sind zum Prototyp des provokativ Wählerischen geworden, der auch durch das auffällt, was er nicht macht. Sind Sie ein luxurierender Mensch?
Holz: Ja. Das habe ich für mich sehr früh entschieden: In allem, was ich tue, soll es möglichst keine Zufälligkeit, keine Beliebigkeit geben - keine Anpassungsleistung, die jene Grenze überschreitet, hinter der Selbstvorwurf und Selbsthass beginnen.
ND: Sie fürchten das Grauen des Stadttheaterbetriebs?
Holz: Ja. Dort ist Regisseur oft ein Beruf wie jeder andere. Das Irrationale der künstlerischen Antriebe geht flöten, die Aufladung mit einer gewissen Aura, der Zauber einer Annäherung ans Stück. Wer so inszenieren kann, wie eine Wurstverkäuferin Salamischeiben abschneidet, der soll es tun. Mir ist es nicht möglich.
ND: Ist das nun arrogant?
Holz: Nein, eher Notwehr. Ich muss mit der Wahrheit zurechtkommen, dass ich so bin und nicht anders. Bei mir findet komplette Identifikation mit einem Stück statt, ich lebe mit ihm, als sei ich der Autor. Ich will das jeweilige Stück treffen, aber ich will es unbedingt liebend treffen. Ich bin nicht dafür gebaut, hintereinander etwas abzusondern. Ich kann nur auszudrücken versuchen, was ich weiß. Ich habe künstlerisch nicht jeden Tag was zu sagen.
ND: Aber Sie verzichten dabei auf eine landläufige Karriere.
Holz: Ist wohl so, ja. Die Abfolge meiner Inszenierungen wünsche ich mir als Werk, als Zusammenhang, nicht als Reihung mehr oder weniger zufälliger Aufträge. In einer Saison von Shakespeare zu Tschechow und wieder zurück? Nein.
ND: Stadttheater ist Freiheit ohne Risiko?
Holz: Ja, Freiheit, die man abheben kann bei Bedarf, wie das Gehalt. Das ist eine verwaltete Freiheit. Ich ziehe eine andere vor.
ND: Das Unbequeme ist aber auch zehrend.
Holz: Sehr. Doch es gibt auch nichts, was begehrenswerter ist.
ND: Sie sprachen eben von Werk: Sie haben Oscar Wilde inszeniert, Alfred de Musset, Ramon de Valle-Inclán, Marivaux, Jane Bowles - was hält Ihre Arbeit zusammen?
Holz: Meine bisherigen Regiearbeiten kennzeichnen eine bestimmte literarische Richtung, es sind Geschichten am Rande, es sind Gegenwelten, manieristische Geschichten, Paargeschichten, allesamt ohne glückliches Ende. Es sind Stücke an der Peripherie jedes Repertoires, ja, sie wurden sogar mit dem Stigma der Unspielbarkeit behaftet - zumindest stehen sie im Verdacht, nicht unbedingt den großen Publikumserfolg zu erbringen.
ND: Sie sagen, Sie könnten nur ausdrücken, was Sie wissen. Was wissen Sie?
Holz: Ich weiß vielleicht einiges über jene Brüchigkeit von Leben, die ganz nahe an der Eleganz wohnt, über Hyperempfindlichkeiten, über innere Fluchtwelten und das Schöne wie Schreckliche an Träumen.
ND: Nun sind Sie bereits mit Ihrer ersten, vorgezogenen Diplominszenierung überregional wahrgenommen worden...
Holz: An der Falckenbergschule wurden Diplominszenierungen ein einziges Mal gezeigt, es gab im Prinzip auch keine Presse - ich habe dem damaligen Direktor Bernd Wilms gesagt, das sei das Niveau eines Gymnasialtheaters. Ich habe mir dann für meine Abschlussinszenierung des »Bunbury« über ein Jahr lang eigene Bedingungen geschaffen, besorgte mir, über etwa fünfzig Spender verteilt, 60 000 Mark Sponsorengelder, bin rausgegangen in ein Gewächshaus - in dem es keine Blumen gab, nur eine Nelke im Knopfloch einer Figur. Presse wurde eingeladen, und sofort begann eine große Heftigkeit der Debatte. Die bösesten Kritiken bestanden gleichsam aus Berufsverbotsforderungen, noch ehe ich richtig begonnen hatte.
ND: Worauf ich hinauswollte, ist ein Paradox: Sie sind, bei der Schnelllebigkeit unserer Verhältnisse, trotzdem sofort immer wieder im Feuilleton, wenn Sie dann eines Tages - immer mit guten Schauspielern! - wieder »auftauchen«.
Holz: Jaja, wenn man auf fast mönchische Weise einer ab und zu stattfindenden Inszenierung dient, entkommt man zwar dem dummen Gerede des Kulturbetriebs, landet dafür aber in neuem Geraune: Plötzlich ist man der exotische Berufs-Sensible.
ND: Wie viel Kraft kostet Sie das künstlerische Leben, das Sie führen?
Holz: Ganz bei sich zu bleiben, empfinde ich manchmal auch als Fluch. Aber bei Oscar Wilde heißt es, die einfachen Genüsse seien die letzten Zuflüchte der Komplizierten. Ich bin also viel weniger kompliziert und fragil als angenommen. Sonst würde ich gar nicht aushalten, was ich tue.
ND: Sie sind nicht nur Regisseur, sondern auch Veranstalter.
Holz: Eben. Ich trage die Verantwortung bis zur letzten Vorstellung. Ich stehe doch viel nackter da als am Staats- oder Stadttheater, wo ein Regisseur von der Premierenfeier in Hamburg gleich zur Bauprobe nach Zürich jettet. Ich kenne die Häme, die ausgegossen wird, wenn man sich so extravagant wie ich verhält. Es gibt immer genügend Leute, die dem Spinner gern was am Zeuge flicken. Aber ich möchte mit niemandem tauschen. Ich lebe von einem dauernden Come-back. Es gibt nie ein unmittelbares Nachfolgeprojekt, weil ich ja keine verfügbaren Finanzen habe. Ich lebe ohne Zukunft.
ND: Woher kommt Ihre Besessenheit?
Holz: Ich musste viele Augenoperationen über mich ergehen lassen, die letzte hatte ich mit 23, in der Schule hatte ich extreme Fehlzeiten; zahllose Krankenhausaufenthalte und Sehschulen liegen hinter mir, mir war Fahrradfahren verboten, denn ich durfte nicht stürzen - da wird man zur lebenden Porzellanpuppe. Die Welt musste ich mir gleichsam im Kopf erfinden - so entsteht Liebe zum Theater. Und zum Glück gab es in meiner Gegend eine unglaublich lebendige Theaterlandschaft, in Bochum waren Zadek, Peymann, Karge/ Langhoff, in Düsseldorf inszenierte Palitzsch. Das war beglückend. Heute ist Nordrhein-Westfalen an den Rand der Bundesrepublik gedrückt. Abschwung West.
ND: Der legendäre Bremer Theaterintendant Kurt Hübner hat einmal zu Ihnen gesagt, es gäbe Regisseure, »die haben zehn Jahre, und andere, die haben ein ganzes Leben. Du Bub' hast ein ganzes Leben«. Das war irgendwie als Trost gedacht. Wie groß ist Ihre Angst vor verrinnender Zeit?
Holz: Davor hatte ich immer schon Angst, und ich würde natürlich gern in einen Rhythmus hineinkommen, der es mir ermöglichte, einmal pro Jahr eine Inszenierung zu machen. Daher schließe ich nicht a priori aus, irgendwann an einem Stadttheater oder auf einem Festival zu arbeiten. Aber durch mein wählerisches Leben bin ich an dem Punkt, an dem ich mir entweder meine Bedingungen selber schaffen kann oder mich grausend abwende. Es gibt kein Zwischending - und also wohl nur noch wenige Theater, die mir solche Bedingungen ermöglichen könnten. Ich produziere sozusagen für mich selber so ideal wie ein Peter Zadek, leider immer nur in irgendeiner Bruchbude.
ND: Auch das Deutsche Theater Berlin, wo Sie 1992 inszenierten, war für Sie nur Stadttheater?
Holz: Auch am DT habe ich diese Verweigerungshaltung in den Augen von Schauspielern gesehen: »Ich bin hier angestellt, und nur deshalb mache ich das mit.« Weiche Momente gibt es bei diesen Leuten nur, wenn sie mit dem Urlaubsschein für einen Filmdreh kommen - womit sie dann ihre Zweit- und Drittwohnsitze finanzieren. Auf solche Kontakte habe ich keine Lust. Dazu ist mir Leben zu kostbar.
ND: Ist Kunst für Sie das Mittel, um mit der Welt fertig zu werden?
Holz: Mit der Welt und mit mir selber. Ich lebe in meinen Fantasien, ich will mir die Irrationalitäten dieses Lebens nicht fadenscheinig machen. Dafür lebe ich gern in einer Wohnung, in der ein Zimmer leer ist und im andern auch nur drei Stühle stehen. Jeder, der mich zum ersten Mal besucht, denkt, ich sei beim Umzug.
ND: Wer in so großen Zwischenräumen inszeniert wie Sie, der sieht sich mit Erwartungsdruck konfrontiert. Es wird jedes Mal eine Sensation erwartet. Aber sie geschieht nicht.
Holz: Der ganz große Koch ist der, der den Fisch im genau richtigen Moment aus dem Wasser zieht. Das ist alles. Mein Theater hat viel mit Handwerklichkeit zu tun, und der eigentliche Skandal heutzutage ist doch die Präzision, nicht der Einfall. Ich will als Regisseur nicht außerhalb einer Geschichte auffallen.
ND: Was verbindet Sie mit Ihrer Generation der 35- bis 40-Jährigen?
Holz: Mit diesen Regisseuren habe ich nichts zu tun. MTV, Pop,Video, Markenmode - nein, danke. Viele dieser Regisseure stellen Figuren auf die Bühne, die genau so gekleidet sind wie sie selber; Hamlet und das Inszenierungsteam kaufen in der gleichen Boutique. Das Theater meiner Generation drückt sich über Trends aus, dafür bin ich nie jung genug gewesen.
ND: Aber man sieht Sie bei vielen Premieren, immerhin sehen Sie sich das an.
Holz: Mein Grundgefühl von Leben: Ich mag keine Verkrampfung. Wenn ich ins Theater gehe, bin ich oft wie vor den Kopf geschlagen vor lauter Regieverkrampfungen. Da werden Momente, aus denen das blanke Nichtkönnen hervortritt, mit Krawall überspielt. Wo ich als Regisseur etwas nicht an ein gelingendes Ende kriege, lasse ich das so stehen. Jede Inszenierung hat auch leere Stellen, an denen man höchstens ahnt, was da Ausdruck werden wollte. Das gehört zur Wahrhaftigkeit einer Arbeit. Ich möchte nicht durch perfekte Überspielungstechniken auf mich aufmerksam machen.
ND: Herr Holz, durchs deutsche Stadttheater gespenstert noch immer der Auftrag von der moralischen Anstalt.
Holz: Das Stadttheater ist ein Bunker! Da findet in der Kantine der tägliche, nächtliche Einredungsprozess statt, mit dem die Hybris geschürt wird, man habe die Ordnung der Dinge durchschaut. Kantinen sind Trauerstätten, in denen man das eigene Elend zynisch verarbeitet.
ND: Glauben Sie an die Veränderung von Welt und Mensch?
Holz: Die Grundkonstanten unseres emotionalen Haushalts bleiben. Innerhalb der so genannten zivilisierten Welt ist deshalb die Hoffnung auf wirkliche Veränderung der Verhältnisse eine Illusion.
ND: Wenn nicht Veränderung der Verhältnisse als Hoffnung - was dann?
Holz: In der Kunst? Das Dunkel klar wahrnehmen, davor aber trotzdem Würde bewahren. Nicht bitter werden. Solche Geschichten interessieren mich. Theater muss wirken, wie ein Bernstein auf uns wirkt. Es kann seelische Valeurs aufheben, die aus anderen Zeiten auf uns zukommen.
ND: Botho Strauß sagt, in der Kunst gehe es um die Ahnung, »was es heißt: über Jahrhunderte das Ähnliche zum Vorschein zu bringen«.
Holz: Im Bernstein leuchtet Urzeit, und wir haben Sehnsucht danach, sie zu berühren. Wir sind begierig, das eingeschlossene Insekt zu entdecken. Das heißt: Wir alle altern uns an das Beständige uralter Institutionen heran. Deshalb ist Aktualität für mich kein Impuls für Theater. Aktualität ist eines der schlimmsten Worte in den Dramaturgien der deutschen Stadttheater, wo das neue Stück als Fetisch gilt. Hauptsache: Uraufführung! Aber das ist doch keine Aussage über die Kraft eines Textes.
ND: Das subventionierte Theater steckt in der Krise. Sind Sie mit Ihrer Produktionsform ein Bote aus der Zukunft?
Holz: Auf jeden Fall beginnt Theater nicht erst bei mehreren Millionen Euro. Theater ist eine Art, sich zu äußern, kein Gebäude.
ND: Der Intendant Frank Baumbauer sagt, Theater brauche drei Dinge: ein Stück, einen Schauspieler, einen Zuschauer.
Holz: Ja, nicht mal einen Regisseur braucht es!
ND: Zur Not geht es auch in Ihrer leeren Wohnung.
Holz: Sehr wahr! Das deutsche Stadttheater hat solche elementaren Wahrheiten zugeschmiert. Und sein Überlebenskampf ist so wenig inspiriert wie jener der Gewerkschaften - die noch immer so tun, als würde die deutsche Arbeiterfamilie sich vom Hering ernähren, der wie in Hauptmanns Zeiten überm Tisch hängt.