Eigenproduktion in einem Gewächshaus in München-Moosach
Abschlussarbeit (Diplominszenierung)
Otto-Falckenberg-Schule, München
Premiere 1988

Helmut Schödel
Die Zeit, 23. September 1988

Born to be wild

Theater 1988: Bilder und Gegenbilder von einer langen Reise

Noch immer handelt das Theater mit den alten Hüten - über Ibsen ist es nie wirklich hinausgelangt. Sein Verhältnis zur Zukunft unterscheidet sich kaum von dem der Bundesregierung. Es ist wie ein Alptraum.

Während dieser Zeit, die ich in Hof verbrachte, wurde in München ein junger Regisseur abgeschafft. Daran war etwas Gespenstisches: Es gab ihn eigentlich noch gar nicht. Armin Holz hatte überhaupt zum erstenmal inszeniert: Oscar Wildes »Bunbury« war zugleich seine Abschlußarbeit an der Münchner Falckenberg-Schule.

Aber noch war ich in Hof. Man hatte gerade ein zwanzig Jahre altes Stück auf einer sorgsam kompilierten Sperrmüllbühne aufgeführt. »Die alte Anna« des Hofer Schriftstellers Claus Henneberg (der vor gut zwanzig Jahren die Hofer Literaturtage erfunden hatte): ein stürmender, pamphlethafter Text, der von Liebe, Leidenschaft und »Frrrt«, der »Freiheit« jener Jahre handelte. Danach saß man noch beim Griechen zusammen, beglückt und bedrückt, voller Pläne und mit leeren Taschen. Wie wird es weitergehen, wenn das Arbeitsamt die Gelder aus den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einstellt, sozusagen die Gagen der Schauspieler streicht? Sponsoren suchen, aufgeben, Ort wechseln? Geisterhaft begannen die Nebel aus Zigarettenqualm und Ouzodunst die Szene zu verhüllen. Bilder vom Theater 1988.

In Zeiten zunehmender Geldknappheit werden solche Nächte beim Griechen bald zum festen Repertoire der Kleinbühnen in solchen Städten gehören. Man wird Vereine gründen müssen, Vereine für Subkultur, mit Zahnärzten und Bankiersgattinnen als Mitgliedern, damit sich der Deckel über den Theaterkisten nicht schließt.

Auch Armin Holz' »Bunbury«-Inszenierung wäre ohne Sponsoren nicht entstanden. Bei fast dreißig Geldgebern hat er insgesamt
80 000 Mark gesammelt. Dann lud er in das Botanikum von München-Moosach ein, in ein großes Gewächshaus. Und schon das hat man ihm übelgenommen.

Wie stellen wir uns heute einen jungen Regisseur vor? Erstens: dankbar. Dankbar für die Chance, die ihm widerfährt. Zweitens: Sein Schuhwerk ist zwiefach genäht. Er weiß, daß er einen langen Weg vor sich hat, die Ochsentour (Moers-Dortmund, diese Achse). Drittens: Falls er Manieren hat, ist er ein Kopist. Er zeigt vor allem die Handschrift seines unbedingten Vorbilds. Viertens weiß er, worum es geht: Er muß den Betrieb am Laufen halten. Daraus folgt, fünftens: Ibsen. Die Geschichten des Regisseurs müssen ins Repertoire passen. So einer ist Armin Holz nicht.

Er inszenierte nicht Wildes »Bunbury«, sondern seine Version davon. Schließlich ist er selber ein Snob, ziemlich unbescheiden (und noch keine 25). Keine saloppe Gesellschaftskomödie, kein Adel des 19. Jahrhunderts: Stattdessen sahen wir Übertreibungen unserer heutigen Mode-Aristokratie, eine geschminkte, eine geliftete Gesellschaft im Zustand chronischer Überreiztheit.

Aus Allüren waren Psychosen geworden. Jack Worthings Mündel Cecily irrt wie ein Osterhäschen durch das Stück und köpft ihre Puppen. Natürlich trägt ihre Gouvernante, Miss Prism, Hut. Aber der Hut sieht aus wie eine Kaffeetasse. Man hat sich um einen Erdhügel versammelt und tanzt durch einen mit winzigen Märtyrern markierten Kreuzweg. Holz erzählt keine Geschichte, sondern beschreibt den psychischen Zustand einer Gesellschaft: Figuren, die sich inzwischen selber erledigen, genauso wie ihr Stück. Im Grunde gab es nur eine werktreue Figur: Armin Holz, den Regisseur, in der Rolle von Oscar Wilde. Was jener in seiner Komödie dem Adel des 19. Jahrhunderts war, wollte Holz unserer Mode-Gesellschaft sein.

Das konnte letztlich nicht glücken. Holz mußte alle Rollen, auch die alte Lady Bracknell, mit Schauspielschülern besetzen. Er hatte viel zu viele Einfälle (und manchmal keine guten). Sein Auftritt als Wilde am Regiepult war auch ein Selbstmordkommando. Das muß er gewußt haben (und hat es trotzdem getan). Und die sonst eher langmütige Münchner Theaterkritik geriet in wahrhaft blinde Wut. So nicht! Man fühlte unser Theater nicht so recht repräsentiert von dieser Veranstaltung. Was könnte Besseres von ihr behauptet werden!

Wie ein dichter Nebel liegt der Biedersinn über dem Land.